Bloss nicht verwechseln:
Isst Teilchen
Misst Teilchen
Sorry für den blöden Wortwitz, aber den konnte ich mir nicht verkneifen …
Heute morgen stand der Besuch im CERN auf dem Programm, dem nach dem Gründungsforum (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) 1952 gegründeten Europäischen Organisation für Kernforschung.
Hier am CERN wird physikalische Grundlagenforschung betrieben – den größten Fokus erhält die Forschung über den Aufbau der Materie mithilfe von Teilchenbeschleuniger. Der derzeit bedeutendste ist der Large Hadron Collider (LHC), der 2008 in Betrieb genommen wurde.
Das CERN hat vier Aufträge:
- Forschung / Research: Die Suche nach Antworten über das Universum
- Technologie / Technology: Die Grenzen der Technologie erweitern
- Zusammenarbeit / Collaborating: Nationen durch Wissenschaft zusammenbringen
- Lehre / Education: Die nächste Generation von Wissenschaftlern vorbereiten
Gerade der Aspekt der Zusammenarbeit ist interessant, denn das CERN wurde kurz nach dem zweiten Weltkrieg gegründet und brachte die ehemaligen Kriegsparteien wieder etwas näher zusammen. Heute sind es verschiedenste Forscher aus dem nahen Osten, die mit Amerikanern und Israelis zusammenarbeiten – zum Beispiel an Experimenten am LHC.
Das Hauptgelände des CERN liegt mit der Tram gut erreichbar nahe Genf in der Schweiz – große Teile der Beschleunigerringe und auch einige der Experimente befinden sich allerdings geografisch in Frankreich, werden aber administrativ von der Schweiz aus geführt. Das CERN hat damit als internationales Forschungszentrum eine besondere Stellung. Das oberste Entscheidungsgremium der Organisation ist der Rat des CERN, in welchen alle Mitgliedsstaaten jeweils zwei Delegierte entsenden: einen Repräsentanten der Regierung und einen Wissenschaftler.
Seit Dezember 2012 verfügt das CERN über einen Beobachterstatus bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Dieser besondere Status verleiht dem CERN das Recht, bei Konferenzen der Generalversammlung zu sprechen, bei formellen Abstimmungen zu votieren und UN-Resolutionen zu unterstützen und unterzeichnen, nicht jedoch über sie mit abzustimmen. Begründet wurde die Entscheidung mit der wichtigen Rolle des CERN in Wissenschaft und Entwicklung und dem Aspekt der außerordentlichen internationalen Zusammenarbeit.
An der Rezeption haben wir den Eintritt zu einer kleinen Ausstellung, wo man sich über die Grundlagen dessen, was hier geforscht wird, informieren kann.
Teilweise wurde das hier angenehmen „verdummt“, sodass auch wir es verstanden haben …
In Bezug auf Energie und Häufigkeit der Teilchenkollisionen ist der LHC der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt. An Planung und Bau waren über 10.000 Wissenschaftler und Techniker aus über 100 Staaten beteiligt, es kooperierten hunderte Universitätslehrstühle und Forschungsinstitute. Die maßgebliche Komponente ist ein Synchrotron in einem 26,7 Kilometer langen unterirdischen Ringtunnel, in dem Protonen oder Blei-Kerne gegenläufig auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden. Dies erhält man dadurch, dass an den Stellen der 4 Detektoren, die Teilchen aus einem in den anderen Ring geleitet werden können.
Die Kollision der Protonen durch Kreuzung der beiden Protonenstrahlen erfolgt in vier unterirdischen Kammern entlang des Beschleunigerrings. In den Kammern befinden sich die vier großen Teilchendetektoren ATLAS, CMS, LHCb und ALICE.
ATLAS hat als Aufgabe die Suche nach dem Higgs-Boson, Supersymmetrie und nach etwaigen Substrukturen der Leptonen und Quarks, Studium der Kollisionen schwerer Ionen. Am ATLAS-Experiment nehmen etwa 2700 Forscher aus über 200 Instituten weltweit teil.
Der CMS-Detektor sucht nach dem Higgs-Boson und Supersymmetrie und nach etwaigen Substrukturen der Leptonen und Quarks, Studium der Kollisionen schwerer Ionen. Die CMS-Gruppe umfasst etwa 3500 Personen aus 200 wissenschaftlichen Instituten.
ALICE untersucht das extrem dichte und energiereiche Quark-Gluon-Plasmas, dem Materiezustand unmittelbar nach dem Urknall – hier arbeiten über 1000 Mitarbeiter.
Zuletzt das LHCb, welches sich unter anderem auf die Untersuchung von Zerfällen von Hadronen, die ein bottom- oder charm-Quark enthalten, Präzisionsmessungen zur CP-Verletzung oder zu seltenen Zerfällen als sensitive Tests des Standardmodells spezialisiert und dabei etwa 800 Mitarbeiter hat.
Die Röhre als solches wurde übrigens deswegen hier gebaut, weil die Felsstruktur in diesem Gebiet ideal für einen solchen Tunnel ist. Da der Fels allerdings etwas „schräg“ im Erdreich liegt, neigt sich der Tunnel um etwa 1,3 %, liegt also etwas schief in der Erde.
Nachdem wir einen einleitenden Film gesehen haben, hat uns ein italienischer Professor, der hier am CERN forscht, zu ALICE mitgenommen. Leider konnte man nicht in den Detektor hinab, obwohl die Chancen gerade groß waren, denn die gesamte Anlage befindet sich im Shutdown, es fliessen also keine Teilchen.
Dafür durften wir uns einen 3D-Film anschauen und am Kontrollraum vorbeigehen, in dem die Wissenschaftler während der Experimente arbeiten.
Der ALICE-Detektor ist etwa 25 Meter lang und 16 Meter breit und hat ein Gesamtgewicht von ungefähr 10.000 Tonnen. Dabei sind die Detektoren so präzise gelegt, sodass man bei den Messungen die Bewegung der Berge durch den Vorbeizug des Mondes (ja, dadurch bewegen sich Berge!) einberechnen muss.
Grundlegend können hier Teilchen einer Temperatur unterzogen werden, die das 100.000 fache der Kerntemperatur der Sonne beträgt. Und dann schaut man eben, was passiert – im Idealfall entspricht das den Erwartungen aber oft genug erhält man was, was einen dazu zwingt, sich völlig neu zu überlegen, wie das Universum eigentlich gebaut ist.
Es war zwar ziemlich schwierig, den Ausführungen des Italieners zu folgen, aber generell super interessant. Wir würden gerne noch mehr erfahren, denn hier passiert ziemlich vieles, nicht nur in der Teilchenphysik. Auch für die IT ergeben sich hier intessante Fragen und Lösungen, denn die Datenmenge am LHC wird auf 15 Millionen Gigabyte pro Jahr geschätzt. Und die Menge wäre wesentlich größer, wenn nicht eine Großteil der Messsignale bereits vor der Verarbeitung oder dauerhaften Speicherung verarbeitet werden würde. Laut den Angaben unseres Guides ist die Datenmenge von ALICE mit der einer 100-Megapixel-Kamera, die 40 Millionen Bilder pro Sekunde macht, vergleichbar. Eine unglaubliche Datenmenge, deren verteilte Verarbeitung im übrigen auch zu dem uns bekannten World Wide Web geführt hat, das 1989 von Sir Timothy John Berners-Lee am CERN vorgeschlagen wurde.
Ein beeindruckender Besuch, wobei wir gerne noch länger und intensiver über die Ziele, die Struktur und die Forschung am CERN was gehört hätten. Und natürlich einen der Detektoren vielleicht auch mal zu sehen, denn die Technik, die hinter der Entwicklung steht, ist beeindruckend und versetzt einen in Erstaunen!