Nachdem wir uns für den Edinburgh-Urlaub entschieden haben, stand die Frage im Raum: Wollen wir wieder gehoben Essen gehen? Und inzwischen gibt es ja in der schottischen Hauptstadt diverse Optionen was das angeht und uns war nach einem neuen Erlebnis. Also buchten wir einen Tisch in einem der besternten Restaurants der Stadt, wenn nicht sogar Schottlands: The Kitchin.
Wie üblich ging es mit der Tram von unserem Hotel in die Innenstadt.
Wobei … in diesem Urlaub hatten wir ja zum ersten Mal die Möglichkeit die erweiterte Linie nach Newhaven beziehungsweise Leith zu nutzen. Im Sommer 2023 eröffnet kann man jetzt so in einem Rutsch bis zum neuen, sehr hippen ehemaligen Hafenviertel fahren.
The Kitchen liegt, wie einige andere sehr interessante Läden, in einem ehemaligen großen Lager-Geschäfte-Haus aus der Zeit, wo Leith noch eben durch den Hafen dominiert wurde und eher für seine ruppiges, fast schon gefährliches Ambiente bekannt war.
Heute dagegen gibt es viele spannende Läden, viele neuen Shops und Unternehmen und dafür auch ein etwas steriles Aussehen. Gentrifizierung eben, Edinburgh macht da keine Ausnahme.
Nachdem wir auf der Commercial Street nur Türen in die Küche gefunden haben und das etwas übergriffig gefunden hätten, wären wir dort einfach reingelaufen, machten wir uns auf die andere Seite des Gebäudes.
Und hier, neben einem echt schönen Ambiente, fanden wir dann den Eingang für Gäste wie uns.
Rein aus der Kälte und ab an unseren Tisch, der am Rand des eher großen Gastraumes lag. Der Service war, den ganzen Abend übrigens, sehr freundlich und schottisch. Das Ambiente erinnerte eher an ein gehobenes Bistro, obwohl die Mischung aus Industrie-Charme und schottischem Landhaus schon sehr spannend war und uns sofort in eine angenehme Stimmung brachte.
Das Essen im „The Kitchin“ ist seit 2007 mit einem Stern ausgezeichnet und wurde in 2009 als das zweitbeste Restaurant der UK ausgezeichnet. Generell werden hier schottische Produkte mit französischen Techniken verarbeitet, jedes Menü soll die Bandbreite der schottischen Zutaten-Liste widerspiegeln.
So zum Beispiel die Grüße aus der Küche, welche aus einer sehr harten Praline mit Kartoffel (also eine Krokette) und Rettich mit einer Creme bestanden.
Dazu eine Brühe aus Johannesbeerblatt und mit rote Beete (omnipräsent, wie wir inzwischen wissen).
Und eine quasi schottisch-japanische Kombination mit Kaviar, Thunfisch und sehr fettig frittierte Alge.
Die Praline war etwas fest, die Suppe war sehr gehaltvoll aber auch sehr schlicht. Und Kaviar mit dem fettigen Chips war irgendwie nicht so unser Fall, denn der Kaviar ging wieder Mal völlig unter. Der Fisch war dagegen sehr gut.
Neben uns setzten sich sehr spannende Gruppen, Paare oder sogar Einzelpersonen hin. Von „Pre-Show-Dinner“ über „First Date“ bis zu „Ich esse hier jeden Freitag“ war alles da und schaffte tatsächlich ein interessantes aber nicht zu konfuses Ambiente. Auch wenn es zwischendurch etwas laut war.
Der Service war, wie so oft, etwas schneller als wir es gewohnt sind und so stand auf einmal schon der nächste Gang vor uns: Lobster aus Newhaven (also gleich um die Ecke im Firth of Fourth gefangen) mit Artischocke, einer kräftig gewürzte Bisque und einer gepickelten, kleinen Zwiebel.
Der Lobster war einfach klasse, die Bisque sehr würzig und nicht zu jodig und die Zwiebel brachte eine erstaunliche Frische und Säure dazu. Sehr gut.
Wein-technisch haben wir uns wieder für eine Weinbegleitung entschieden, was hier allerdings bis auf zwei Ausnahmen eher unspannend war. Allerdings passten die Weine sehr gut zu den Gängen, der Fokus wird hier allerdings auf dem Gericht gelegt und die Weine sollen dem nicht im Wege stehen. Insofern eine eher defensive Begleitung aus dem Elsass, Jura, Ungarn, Italien und Australien.
Nächster Gang: Wolfsbarsch mit einer Butter-Emulsion, Fischrogen und einer pochierten Auster. Zitat von unserem Kellner: Eine Einstiegs-Auster für Leute, die Austern noch nicht mögen.
Haut hervorragend, die Sauce sehr kräftig und mit einer schönen Konsistenz. Die Auster dagegen war gerade für Jens, der ja Austern seit einigen Urlauben richtig zu Schätzen gelernt hat, traurig uninteressant und ohne all das, was eine Auster ausmacht.
Aber Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und bestimmt gibt es sehr viele Menschen denen so die erste Hürde bei Austern genommen wird.
Zeit für den Hauptgang: Wagyu aus der Region um Stirling mit Trüffel Pomme pureé, schwarzem Knoblauch und Pilzen.
Die Pilze waren jetzt wieder nicht so Jens Ding, obwohl sie natürlich einen schönen herbstlichen Touch zu diesem Gericht brachten. Der schwarze Knoblauch gab etwas Süße und wieder etwas Erdiges zu dem Gang. Die Sauce war sehr kräftig und nicht zu buttrig. Und das Fleisch … war herausragend!
Ein wahrlich sehr angemessener Gang, was ja oftmals beim Fine Dining nicht immer der Fall ist. Ach ja, unter den Pilzen war noch eine kleine Praline aus geschmortem Wagyu. Und wenn das Sirloin schon hervorragend war, war diese kleine, quasi „Pulled Wagyu“-Praline einfach eine Götterspeise.
Einfach sehr gut und als dann noch ein kleiner, aber feiner Käsewagen anrollerte (nur für Jens, Meike verzichtet hier ja immer gerne) war das Essen schon unter „sehr, sehr lecker“ abgespeichert.
4 spannende Käse, einer davon sehr spannend mit Bier affiniert, ein paar kleine Kleckse von Senf und Honig und ein paar sehr leckere Stücke Backwerk – passt!
Die Nachtische waren wiederum die bereits bekannte Kombination aus klassischen Techniken und lokalen Zutaten. Das Pre-Dessert bestand aus einer Panna Cotta mit einer Consommé aus Sanddorn.
Immer wieder ein überraschender Geschmack, den wohl nicht viele Menschen kennen. Wie mögen Sanddorn sehr gerne, weil es eine spannende Kombination aus Süß und Sauer und es wird nicht umsonst als „Zitrone des Nordens“ bezeichnet.
Der Abschluss war eine kalorientechnische und geschmackliche Bombe: Ein Apple Crumble Soufflé, eine Nocke Vanille Eiscreme und eine Karamellsauce mit einem 15 Jahre alten Macallen Whisky. Als Krönung gab es noch ein Shot von eben diesem Whisky oben rein.
Mmmmmhhhhhhh … sehr gut! Soul Food nennt man das wohl heutzutage und besser kann man es auch fast gar nicht beschreiben. So ein Soufflee bei dem kalten Wetter hat schon was für sich.
Mit einem Kaffee und ein paar Petis Fours war das Essen beendet. Und, um nochmal zu betonen, dass fast alle der Hauptzutaten aus Schottland kommen, bekamen wir noch eine Karte auf der die Herkunft aller Produkte zu sehen war. Sehr cool!
Wobei … wenn man schon hier ist … naja, es gibt hier eben auch eine kleine Bar in einem Raum direkt neben dem Eingang zum Restaurant und der Garderobe. Und die hat eine beeindruckende Whisky-Auswahl, wo Jens gleich mal mit dem Fachpersonal zwei abschließende Getränke aushandelte.
Meike gönnte sich noch ein alkoholärmeren Abschluss und dann ging es zurück zur Tram.
Was denken wir nun über „The Kitchin“? Ein sehr schöner Abend war es sicherlich und fast alle Gänge schmeckten mindestens mal hervorragend. Der Service war zwar anfangs zu schnell für unseren Geschmack, aber wir hätten sicherlich auch etwas sagen können und hätten so etwas mehr Pausen gehabt. Und am Ende war es wieder etwas langsam. Aber die Freundlichkeit machte hier einiges wett. Das Ambiente war jetzt nicht so unseres, denn unterhalten wollten wir uns schon etwas miteinander. Aber vom Design her war auch alles ansprechend und sehr schön.
Was uns allerdings eher von einem nächsten Besuch abhalten würde, ist schlicht der Preis. Der war nämlich eher auf dem Level vom Ox und Klee und nicht auf unserem Referenz-Stern-Restaurant Cuisine Rademacher. Wenn es sich anbietet oder wenn ein spannendes Menü hier angeboten wird kommen wir sicherlich noch einmal hier her. Und für alle, die sich für die Bandbreite der schottischen Speisekammer interessieren, ist „The Kitchin“ sicherlich eine sehr gute Wahl.