Seit einigen Jahren hat es sich zur Tradition entwickelt, dass wir, wenn einer von uns Geburtstag hat, gut bis sehr gut Essen gehen. Was in den letzten Jahren zwangsläufig zu einem Besuch in einem besternten oder anders ausgezeichneten Restaurant führt. Ein Problem ist es daher aber, wenn man, wie Meike dieses Jahr, an einem Montag Geburtstag hat.
Aus diesem Grund haben wir uns Montag einfach Dune angeschaut (um uns dann bald Dune 2 anzuschauen), Nachos gegessen und einen faulen TV Abend gemacht. Der Restaurantbesuch war aber nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben und so saßen wir dann am Samstag auf einmal in der Regionalbahn 25 in Richtung Oberbergischer Kreis.
Warum Oberberg? Und warum überhaupt mit der Bahn? Und wieso sieht der Bahnhof von Dieringhausen fast immer noch so aus (minus dem Kiosk), wie Jens ihn zu seiner Schulzeit oder während der Ausbildung so ziemlich jeden Tag gesehen hat? Oder wenn er mit Tim mal in den Sommerferien nach Köln gefahren ist?
Des Rätsels Lösung liegt gleich neben dem Kaufland in Dieringhausen, etwa 800 Meter vom Bahnhof aus die Kölner Straße entlang und in die Hohler Straße rein: Die Mühlenhelle! Die Gourmet-Adresse im Oberbergischen und gerade für Jens ein Teil seiner Geschichte und seiner Heimat. Hier hat schon vor 25 Jahren die Firma von Jens Vater die Weihnachtsfeier veranstaltet (nur einmal, vermutlich wegen der Kosten) und hier hat seit 2007 das Ehepaar Quendler das Zepter in seiner Hand.
Und seit 2012 hat es hier einen Michelin Stern!
Die ehemalige Villa bietet übrigens in einem Nachbarhaus auch Zimmer zum Übernachten an die wir aber dieses Mal nicht nutzen werden. Stattdessen planten wir mit der Regionalbahn spätestens um halb 12 zurück nach Köln zu fahren. Als Backup hatte sich dankenswerterweise Jens Bruder Uwe angeboten aber das mussten wir nicht in Anspruch nehmen.
Die Rückfahrt lag aber noch weit, weit vor uns, denn über-pünktlich um 10 vor 18 Uhr standen wir vor dem Eingang, von dem aus es nach rechts ins Bistro und links in das Gourmet Restaurant geht.
Nachdem unsere Jacken abgenommen wurden, bot man uns mehrere Tische zur Auswahl an und wir setzten uns an einen, von dem aus wir einen schönen Blick über den dezent und sehr klassisch-modern eingerichteten Gastraum hatten. Menüs wurden gereicht und kurz danach stand auch eine Flasche Wasser für uns bereit.
Zwei Anmerkungen: Es gibt auch eine Wasser-Flatrate mit dem sehr guten Oberbergischen Leitungswasser. Und das für unschlagbare 4 Euro pro Person. Was gerade während einer Weinbegleitung, die wir natürlich nahmen, sehr, sehr preiswert ist.
Die zweite Anmerkungen – und das ist uns ein wenig peinlich – ist, dass wir bei der ursprünglichen Buchung einen Zahlendreher hatten und quasi ein Monat zu früh gebucht hatten. Unsere Überraschung war groß, als eines Samstagabends Frau Quendler bei Jens anrief und fragte, wo wir denn wären … oberpeinlich! Kulanterweise wurde keine „NoShow“-Gebühr erhoben, obwohl wir das bei dem Wareneinsatz natürlich verstanden hätten – die Lebensmittel sind ja schon vorbereitet und können ja im seltensten Fall am nächsten Tag nochmal verwendet werden. Netterweise wurden wir auf den richtigen Tag umgebucht und für so viel Freundlichkeit und Entgegenkommen revanchierten wir uns mit einem kleinen Whisky-Sample aus Jens Bruichladdich-Fass. Dürfen solche Fehler aber nicht mehr so oft machen, viel ist davon nicht mehr da …
Also: Wasser war da, wir akklimatisierten uns ein wenig und ließen den Blick durch den Raum schweifen, der irgendwie wie Gourmet-Restaurant mit leichter Tendenz zu einer gemütlichen, alten Bauernstube wirkte. Wir fanden es schön und irgendwie urig.
Schaumwein gab es zum Anstoßen natürlich auch, für Meike ein Rivaner Secco vom Weingut Kallfelz an der Mosel und für Jens ein Crémant Brut Rosé von der Domaine Buvet an der Loire.
Sagen wir mal so: Für jeden das richtige, denn der jeweils andere Sekt passte nicht so gut wie die eigene Wahl.
Die Bestellung war schnell erledigt (einmal das Menü mit kompletter Weinbegleitung) und während weitere Gäste in den Raum kamen, erhielten wir den ersten Gruß aus der Küche: Mit einem Gel ummantelte Avodaco-Creme auf Tomate und rote Zwiebel sowie einem Parmesanchip.
Klein, fein und aromatisch schonmal ein Knaller. Gerade die Tomate-Zwiebel-Kombination unten drunter wirkte sehr frisch und half dadurch die eher fette Avocado etwas zu schwächen, was gut war.
Als zweiter Gruß was eher klassisches: Eine Kartoffelbällchen mit Hühnchen. Darunter ein sehr einfaches und dadurch sehr aromenstarkes Erbsenpüree und eine schöne Sauce.
Einfach und wohl auch dadurch so gut und passend.
Der Michelin schreibt über das Restaurant übrigens „Mit dieser herrlichen Villa haben sich Michael und Brigitta Quendler einen absolut repräsentativen Ort ausgesucht, um ihre Gäste zu verwöhnen. Eleganter Stil, warme Töne, schöner Holzfußboden, große Sprossenfenster…, wirklich einladend! Dazu kommen der aufmerksame und kompetente Service sowie die Küche von Michael Quendler. Er kocht auf klassischer Basis, aber dennoch modern und angenehm unkompliziert – gelungen bringt er die verschiedenen Aromen der ausgezeichneten Produkte auf dem Teller zusammen.“
Und genau so war es auch: Klassische, französische Küche mit sehr guten und oft auch lokalen Produkten. Es muss nicht immer „brutal regional“ oder „modern nordic“ oder irgendeine Fusion-Küche sein.
Das Sauerteig-Brot mit vier verschiedenen Salzen und Öl war dann auch so eine Sache. Zwei der Salze waren eigene Mischungen und vor allem das Kaffee-Salz mit Anis war echt eine überraschend feine Sache.
Dann ging es aber zu den Gängen selber und gestartet wurde mit einer recht klassischen Kombination aus Garnele und Curry. Dazu gab es von der Konsistenz her sehr passende, weil etwas festere Petersilienwurzeln sowie ein süßes Apfelgelee (was uns aber unserer Erinnerung nach als Birne angekündigt wurde).
Ob Apfel oder Birne: Die fruchtige Komponente passte hervorragend zum Curry-Schaum und der Garnele und dem Chip aus Petersilienwurzel.
Das war schon einmal ein starker Beginn.
Und genauso ging es weiter, denn mit der Heilbutt-Rolle und Petersilie, die mit Artischocke und einer überaus leckeren Zitronen-Miso-Sauce sowie einem Pinienkern-Chip daherkam waren wir wieder sehr, sehr zufrieden.
Wobei der Fisch, obwohl natürlich perfekt gegart wurde, fast schon dazu diente die sehr intensive Petersilie quasi zu „verdünnen“ vom Geschmack her. Die Zitronen-Miso-Sauce war aber, wie gesagt, der Hammer! Es kann auch sein, dass hier die Finger zum Einsatz kamen, um alles, aber auch wirklich alles mitzunehmen.
Dazu gab es übrigens einen Sauvignon Blanc aus dem österreichisch-slowenischen Grenzgebiet. Genauer gesagt von der Domaine Ciringa, die einem gleich über die Grenze liegendem österreichischen Weingut gehört.
Der nächste Gang las sich schon gut und das war er auch: Jakobsmuschel auf einer Escabeche mit Karotte (als Püree und als Chip), eingelegtem Fenchel und Safran.
Was Jakobsmuscheln angeht sind wir natürlich durch Schottland oder die Maritimes in Ost-Kanada anderes gewohnt. Die hier war sehr gut zubereitet, hätte unserer Meinung nach aber auch nicht sein müssen, denn das Gemüse selber war schon sehr lecker und bot interessante Kontraste.
Als Wein gab es hier einen Treana Blanc von den Mer Soleil Vineyards in Kalifornien. Mit den Trauben Viognier und Marsanne wurden hier zwei traditionell dem Loire Tal zugeordneten Sorten verwendet, was dem Wein einen echt französischen Hauch gab.
Apropos „Wein“: Der wollte jetzt raus und so ging es auf die Toilette, was Jens dazu nutzte, um im Keller die Schatzkammer des Hauses anzuschauen. Hier kann man auch ein paar Stunden verbringen, denn die Weinkarte hat über 600 Positionen und auch einige echte Raritäten! Und vor allem viele mit einer überraschend geringen Gewinnmarge bepreisten Weine!
Es gab sogar Weine, die uns durchaus bekannt sind. Ins Ahrtal müssen wir ja auch mal wieder … hmmm … später mal überlegen.
Weiter im Menü: Hirschragout vom lokal geschossenen Hirschen auf einem Blätterteig, Holunderblüten, Selleriepüree, angebratener (und vermutlich geschmorter) Sellerie und einem Fruchtgel. Von letzterem wissen wir leider nicht mehr, was es genau war.
Sehr, sehr lecker. Wir wiederholen uns, das wissen wir, aber es ist nun einmal so, dass jeder Gang uns lange beschäftigt hat. Überall gab es was auszuprobieren, überall waren kleine Kniffe zu finden und spannende Entdeckungen zu machen. Und so macht uns eben auch Essen Spaß!
Es wäre sehr passend für dieses Restaurant, wenn es nicht einen zweiten Fleischgänge gäbe – und so war es auch: Der Hauptgang war eines der besten Kalbsfilets, die wir jemals hatten! Super rosa gebraten, gute Röstung, gute Aromen. Dazu Rhabarber, Kichererbsenpüree und Mohn-Schupfnudeln. Auf dem Fleisch kurz geschwenkte und damit noch sehr knackige Zuckerschoten. Und darunter ein Jus, der passender nicht sein konnte.
War das über-kreativ? Nein. War es modern? Auch nur in Teilen. War uns das egal, weil es fantastisch schmeckte? Aber sowas von!
Als nächstes stand die „Rohmilchkäseauswahl“ auf dem Program … äähh .. dem Menü. Und das war in der Vergangenheit ja oft etwas enttäuschend, gerade für Jens als Käse-Liebhaber.
Hier rollte aber ein kleiner, aber feine Käsewagen an und irgendwie lieben wir diese Prozedur halt.
Meike entschied sich für möglichst harte Kuh-Käse (wobei ein Ziegenkäse sogar seinen Weg auf ihren Teller fand!). Jens begab sich in die Hände der Dame des Hauses und Frau Quendler schnibbelte sich einmal quer durch den Käsewagen.
Interessanterweise war der Munster sehr, sehr lecker. Bei der Ziege hat unser lokaler Käse-Dealer einen besseren Geschmack und die übrigen waren „nur“ lecker. Aber insgesamt ist es auch das Ritual, das Zelebrieren der Präsentation und der Auswahl, was uns so begeistert.
Zeit für den Abschluss und hier wurde es dann doch schon wild-kreativ: Kokosnuss, Blaubeere und Haselnuss in verschiedensten Texturen und Zubereitungen.
Dazu eine Beerenauslese aus dem Burgenland vom Weingut Kracher (haben noch zwei Flaschen davon zu Hause) und damit genügend Zucker bis nächste Woche. Der Nachtisch war, das merkte man, jetzt nicht von einem künstlerisch veranlagten Patissier angerichtet, sondern vermutlich (wir haben nicht nachgefragt) von einem der Köche erstellt worden. Aber: Lecker war es schon, nur eben etwas wild von den Kombinationen her und weniger filigran.
Auch hier: Keine Experimente, wie es Konrad Adenauer schon 1957 vom Wahlplakat rief und „der Alte“ ist auch eine recht passende Analogie für den ganzen Abend. Denn der war im besten Sinne des Wortes „Konservativ klassisch“!
Zum Digestif dann noch einen Espresso und zwei Pralinen. Und dann mussten wir leider relativ schnell bezahlen, um die vorletzte Bahn um 22:28 Uhr zu bekommen. Das nächste Mal übernachten wir hier und lassen den Abend gemütlicher ausklingen, denn das hat das Essen hier durchaus verdient.
Durch die überraschend warme Nacht ging es zu Fuß zum Bahnhof Dieringhausen und auf das Gleis, wo kurze Zeit später die Regionalbahn zurück nach Köln einfuhr.
Den Zug erreichten wir dann mit ein paar Minuten Puffer und konnten schonmal beginnen uns Gedanken über den Abend zu machen.
Was nehmen wir also von dem Abend mit? Ein wahrlich klassisches Menü mit einem wirklich herzlichen, aufmerksamen und jungen Service. Gab es ein paar Fehler? Ja. Waren die Gerichte die vielzitierten „Geschmacksexplosionen“ oder sowas? Nein. Wobei sich uns nicht erschließt, warum man im Mund was Explosives haben möchte …
Es ist einfach so: Michael Quendler kocht einfach sehr, sehr gutes Essen auf einer spürbaren französischen Basis und versucht nicht irgendwelchen Trends zu folgen. Und auch wenn das Manche anders sehen mögen, für uns war es auf jeden Fall den Menüpreis von 176 Euro wert.
Und auch die 68 Minuten Bahnfahrt nach Köln-Deutz zurück. Den Weg werden wir nochmal auf uns nehmen, denn uns hat es sehr gefallen!