Was Französisch für „Fortschritt durch Seide“ ist. Oder auch: Was können wir denn mit unserem Tokyo Wide Pass machen, dass der sich gelohnt hat?
Nach unserem leckeren Frühstück in der Sushi Bar haben wir überlegt, was wir mit dem angefangenen Tag machen können. Also haben wir uns ein wenig informiert, wo man mit dem JR Tokyo Wide Pass überall hinfahren kann, vorzugsweise mit dem Shinkansen.
Bei einer Suche stießen wir auf den kleinen Ort Tomioka, der erstens ein Weltkulturerbe enthalten soll, zweitens mit einer Kombination aus Shinkansen und inkludierter Privatbahn erreichbar ist und dies drittens in annehmbarer Zeit.
Also ab zum Reservierungsbüro und Sitzplätze im nächst-besten Shinkansen von Ueno nach Takasaki geholt. Glücklicherweise geht das sehr schnell und so standen wir kurz danach schon am Gleis in Ueno.
Die Strecke, die wir nutzen wollten, ist der Nagano Shinkansen. Hier kommen unter anderem Züge der Baureihe E4 zum Einsatz, die eine Besonderheit im Shinkansen Netz darstellen, denn sie sind doppelstöckig. Ein anderer Name hierfür ist auch „MAX“, woran man diese Züge auch erkennen kann. Sie sollten eigentlich schon ausgemustert werden, sind aber weiterhin auf diversen Strecken im Einsatz, weil sie einfach viele Menschen transportieren können.
Wir hatten leider einen Sitzplatz im unteren Teil und konnten daher während der Fahrt die Unterschenkel der Menschen auf den Bahnsteigen sehen. Oder Betonwände.
In Takasaki angekommen mussten wir umsteigen in die Joshin Railway. Dies ist eine der vielen Privatbahnen in Japan, die auf kleinen Strecken für die Anbindung kleiner Gemeinden sorgen und oft von den Shinkansen-Bahnhöfen aus abfahren.
Oft werden diese Züge auch für Bahnhöfe ohne Bahnsteigsperren verwendet. In diesem Fall ist es wie beim Busfahren: Man zieht ein Ticket beim Einsteigen und bezahlt beim Aussteigen beim Fahrer, der bei allen solchen Haltestellen auch nur die vordere Tür des Triebwagens öffnet.
Ansonsten war es um diese Zeit (früher Nachmittag) eine recht entspannte Fahrt.
Nach etwa 30 MInuten kamen wir in Joshi-Tomioka an. Hier wurde auch auf Englisch darauf hingewiesen, dass man aussteigen sollte, wenn man zu der Weltkulturerbestätte gehen möchte.
Der Weg selber war noch etwa 1 Kilometer vom Bahnhof aus. Und einem UNESCO-gewürdigten Denkmal … jetzt nicht ganz entsprechend. Die ganze Stadt schien zu schlafen oder weggezogen zu sein.
Was spannend ist, denn Tomioka war einer der Ort Japans, wo die Industrialisierung der Meiji Periode begann. Hier wurde zum ersten Mal das Land geöffnet und westliche Maschinen, Produktionsmethoden und auch die westliche Kultur ins Land geholt. Im Falle von Tomioka war dies die Tomioka Silk Mill, also eine Fabrik zur Produktion von Seide.
Die Silk Mill selbst wurde 1980 geschlossen, aufgrund der Bedeutung und des guten Erhaltungsgrades der Fabrik sowie der Maschinen wurde die Fabrik 2014 zu einem Weltkulturerbe erklärt. Und das schauen wir uns jetzt an.
Die Menge an Besuchern war zu diesem Zeitpunkt überschaubar, weswegen die sehr enthusiastische Dame uns auf einem Mix von Japanisch und Englisch vollquatschte. Meike gönnte sich einen Audioguide, Jens benutzte die Internetseite der Silk Mill, wo ebenfalls Informationen hinterlegt waren.
Der Standort Tomioka wurde ausgewählt, weil er strategisch und klimatisch günstig lag. Daher wurde 1872 entschieden, hier eine Fabrik zu bauen und dafür Spezialisten aus Frankreich hinzuzuziehen. Die Fabrik bestand aus vielen Gebäuden, von denen die meisten tatsächlich erhalten bzw. rekonstruiert wurden. Am dominantesten sind die 3 Backsteingebäude, in denen die Produktionsmaschinen bzw. die Lagerhäuser für die Seidenraupen waren.
In der Produktionshalle waren die originalen Maschinen noch ausgestellt und viele Informationstafeln auf Japanisch angebracht.
Aber mit dem Audioguide bzw. den Informationen aus dem Internet kommt man auch sehr weit. Hier trafen wir dann auch auf mehrere Reisegruppen, die alsbald das Gelände bevölkerten. Es scheint tatsächlich doch ein bekannter Zielort für Japaner zu sein, denn am Ende waren sicherlich 10 Reisegruppen auf dem Gelände unterwegs.
Neben den Backsteingebäuden waren noch andere Strukturen zu sehen, so zum Beispiel das Krankenhaus für die weiblichen Mitarbeiter.
Kleine Anekdote über die weiblichen Angstellten. Der französische Leiter der Seidenproduktion, Paul Brunat, hatte am Anfang Probleme überhaupt Interessierte zu finden. Dies lag unter anderem daran, dass sich unter den Einheimischen einige gesehen haben, wie die Franzosen ein rotes Getränk trinken. Wein kannte man jetzt nicht so, also dachten die Menschen lange, dass die Franzosen Blut trinken. Und dann in das „Krankenhaus“ gehen?
Erst als die Töchter von Brunat mit gutem Beispiel voran gingen und sich auch das Mißverständnis mit dem Wein aufgeklärt hatte, fanden sich Arbeiterinnen für die anstrengende Arbeit in der Seidenproduktion.
Die Fabrik brauchte viel Wasser, daher auch die strategische Lage am Fluß.
Auch auf dem Gelände ist das Gebäude des Herrn Direktors Paul Brunat, das wird aber gerade saniert und war daher nicht so prächtig und erst Recht nicht zu betreten.
Neben den Gebäuden gab es auch einige Demonstrationen und Kunstaustellungen auf dem Gelände. Obwohl wir glauben, dass das eigentlich nur für die japanischen Reisegruppen sein sollte, nutzen wir den Ausländer-Bonus und gingen einfach mal rein.
Und wir sind uns sicher noch nie Seidenraupen von so nah gesehen zu haben. Interessante Tierchen …
Neben den Ausstellungen war auch, wir sind halt immernoch in Japan, ein schöner Garten Teil des Geländes.
Die Arbeiter damals hatten kein schlechtes Leben, auch das war ja Teil der Öffnung des Landes. Auch sowas wir Arbeitsschutz, Urlaubsanspruch oder Krankenversicherung war neu für das so lange verschlossene Land.
Und auch dat mit der Dampfmaschin, dem jroßen schwarzen Raum mit dem Loch hinten und vorne, war nicht nur bei Lehrer Bömmel in der Feuerzangenbowle ein Thema, sondern auch hier. Denn auch das war neu.
Jetzt aber nicht für uns, weswegen wir uns lieber in die Sonne und den Garten aufgemacht haben.
Im Hauptgebäude gab es noch eine Ausstellung von künstlichen Blumengebinden, die sehr beeindruckend war, wo man aber nicht fotografieren durfte. Außerdem natürlich auch Seide zu kaufen. Das war uns dann aber zu teuer.
Also ging es zu Fuß zurück zum Bahnhof, mit der Privatbahn nach Takasaki. Und dort, der Hunger stellte sich langsam wieder ein, in den Supermarkt. Wobei wir am massig vorhandenen Sake lieber vorbeigegangen sind und uns nur Süßigkeiten und jeder ein Bier gegönnt haben.
Der Shinkansen bei der Rückfahrt war etwas voller, weswegen wir bis Ueno getrennt saßen.
Die letzten 9 Minuten genossen wir dann aber den relativ leeren Zug in der 2. Klasse.
Unseren JR Pass, den wir in 2 Tagen aktivieren wollen, haben wir wieder für die 1. Klasse gekauft. Dann werden die Sitze glücklicherweise etwas breiter. Aber das hier geht selbstverständlich auch und ist immer noch bequemer als die meisten Züge der Deutschen Bahn.
Und schöner.
Zurückgefahren sind wir nämlich mit einem E7 Asama Service von Nagano nach Tokyo. Und diese Züge sollten später auf der Reise noch eine Rolle spielen, denn von diesem Typen gibt es jetzt viel weniger. Mehr dazu später.